Quantengase eignen sich sehr gut, um Eigenschaften der Materie im Detail zu untersuchen. Wissenschaftler können heute im Labor einzelne Teilchen in extrem stark gekühlten Gaswolken exakt kontrollieren und auf diese Weise Effekte sichtbar machen, die in der Alltagswelt nicht beobachtet werden können. Einer fasziniere Beispiel davon bieten neue Experimente mit magnetischen Atomen, die neulich ein Supersolidzustand erzeugt haben. Die magnetische Wechselwirkung bringt die Atome dazu, sich selbst zu Tröpfchen zu organisieren und in einem regelmäßigen Muster anzuordnen. Normalerweise würde man denken, dass jedes Atom in einem bestimmten Tröpfchen zu finden ist, ohne Möglichkeit den Ort zu tauschen. Im suprasoliden Zustand ist jedoch jedes Teilchen über alle Tröpfchen hinweg delokalisiert, existiert also gleichzeitig in jedem Tröpfchen. Im Grunde hat man also ein System mit einer Reihe von Regionen hoher Dichte (die Tröpfchen), die sich alle die gleichen delokalisierten Atome teilen. Diese bizarre Formation ermöglicht Effekte wie das reibungsfreie Strömen trotz der Existenz einer räumlichen Ordnung (Suprafluidität).
Neue Dimensionen fördern neue Phänomene zutage
Bisher wurden suprasolide Zustände in Quantengasen immer nur als Aneinanderreihung von Tröpfchen (entlang einer Dimension) beobachtet. Die jetzige Innsbruck-Hannover Kooperation hat nun dieses Phänomen auf zwei Dimensionen erweitert, wodurch Systeme mit zwei oder mehr Reihen von Tröpfchen entstehen. Dies ist nicht nur ein quantitativer Unterschied, sondern erweitert auch die Forschungsperspektiven entscheidend. In einem zweidimensionalen suprasoliden System kann man zum Beispiel untersuchen, wie sich in der Öffnung zwischen mehrerer beieinanderliegenden Tröpfchen Wirbel bilden. Diese in der Theorie beschriebenen Wirbel sind bisher noch nicht nachgewiesen worden, stellen aber eine wichtige Folge von Suprafluidität dar. Das nun in der Fachzeitschrift Nature präsentierte Experiment schafft neue Möglichkeiten, die grundlegende Physik dieses faszinierenden Materiezustands weiter zu untersuchen.
Neues Forschungsfeld Suprafestkörper
Vor 50 Jahren vorhergesagt, wurde bisher versucht, Suprasolidität mit seinen überraschenden Eigenschaften in supraflüssigem Helium nachzuweisen. Nach jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Forschung fehlte jedoch noch ein eindeutiger Nachweis von Suprasolidität in diesem System. Vor zwei Jahren war es Forschungsgruppen in Pisa, Stuttgart und Innsbruck unabhängig voneinander erstmals gelungen, mit ultrakalten Quantengasen aus magnetischen Atomen sogenannte Suprafestkörper zu erzeugen. Grundlage für das neue, wachsende Forschungsfeld der Suprafestkörper ist die starke Polarität magnetischer Atome, deren Wechselwirkungseigenschaften die Erzeugung dieses paradoxen quantenmechanischen Materiezustandes im Labor ermöglicht.
Die Forschungen wurden unter anderem vom Exzellenzcluster QuantumFrontiers und der Europäischen Union finanziell gefördert.
Originalpublikation
Two-dimensional supersolidity in a dipolar quantum gas
Matthew A. Norcia, Claudia Politi, Lauritz Klaus, Elena Poli, Maximilian Sohmen, Manfred J. Mark, Russell Bisset, Luis Santos, and Francesca Ferlaino
Nature 596, 357–361 (2021).
Weitere Informationen zur Arbeitsgruppe von Luis Santos: A2 - Many-Body Interacting Quantum Systems